Rezensionen
An dieser Stelle finden Sie monatliche Rezensionen zu
unseren persönlichen Buchempfehlungen.
Empfehlungen für den Monat März 2023
Raynor Winn: Überland
Acht Jahre nach ihrer ersten, wochenlangen Wanderung mit Zelt und Rucksack verspüren Ray und Moth wieder das unstillbare Verlangen nach einer weiteren Herausforderung in der Natur. Die Hoffnung, dass Moths unheilbare Krankheit durch das Wandern wieder gelindert wird, ist groß. Zweifel und Schuldgefühle begleiten die beiden ebenso wie scheinbar aussichtlose und sogar lebensgefährliche Situationen in der schottischen Wildnis. Doch die heilsamen Kräfte der Natur und wunderbare Begegnungen lassen die beiden nicht aufgeben, sondern noch weiter gehen.
Auch dieses Buch der Erfolgsautorin ist weit entfernt von einem Wanderreiseführer. Mit detailreichen Schilderungen der Natur, aber auch Gedanken über die Klimakrise und die schwindende Biodiversität, sowie der emotionalen Sorge um die Zukunft des Paares erlebt man als LeserIn sämtliche Höhen und Tiefen der beiden hautnah mit.
Heinrich Steinfest: Der betrunkene Berg
Katharina betreibt eine Buchhandlung auf 1765 Metern Höhe, ihre Spezialität sind Bücher über Berge und die Region, ihre Kundschaft sind hauptsächlich Wanderer. Während des Betriebsurlaubs im Winter bleibt sie alleine auf dem Berg, und bei einer ihrer täglichen Gipfelbesteigungen findet sie einen bewusstlosen Mann im Schnee. Sie nimmt sich ihm an, pflegt ihn gesund und geht seinem Wunsch nach, diesen Vorfall vorerst niemandem zu melden. Der Mann leidet unter Gedächtnisverlust, und gemeinsam versuchen sie herauszufinden, was ihn in diese Situation gebracht hat.
Gespannt verfolgt man beim Lesen, wie die Erinnerung langsam zurückkehrt und einige brisante Details zutage führt. Nicht aus der Hand zu legen!
Empfehlungen für den Monat Februar 2023
Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis
Der bekannte österreichische Schriftsteller Arno Geiger zieht mit Mitte fünfzig Bilanz und lässt die wichtigsten Momente seines Lebens Revue passieren. Er berichtet darüber, wer und was ihn geprägt hat, von wichtigen Begegnungen und einschneidenden Schicksalsschlägen. Den Rahmen dazu bildet seine Leidenschaft, die er in Wien als junger Mann begonnen hat und die ihn bis heute begleitet: das Durchforsten von Altpapiercontainern nach Büchern, Briefen, Tagebüchern und anderen Dokumenten des täglichen Lebens, die ihn zu seinen Romanen und Geschichten inspiriert haben.
Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie
Wir schreiben die frühen Sechzigerjahre: eine Frau hat daheim bei den Kindern zu bleiben, und wenn sie schon arbeiten geht, dann als Sekretärin oder Lehrerin. In der Wissenschaft hat sie schon gar nichts zu suchen. Elisabeth Zott jedoch ist eine junge, außerordentliche Chemikerin und überdies alleinerziehend – und widerspricht somit jeglichen gesellschaftlichen Konventionen. Noch dazu geht sie beharrlich und unkonventionell ihren Weg.
Eine packende, tiefgehende Geschichte um eine ungewöhnliche Wissenschaftlerin, die sich ganz der Chemie verschrieben hat. Aber auch eine Geschichte um Emanzipation, Frauensolidarität und Liebe, gewürzt mit Intelligenz und Humor.
Empfehlungen für den Monat Jänner 2023
René Anour: Die Totenärztin - Donaunebel
Auch im dritten Band der Totenärztin löst Gerichtsmedizinerin Fanny Goldmann mit unkonventionellen Methoden und viel Mut auf eigene Faust einen aufsehenerregenden Fall. Schauplätze sind die dunklen Donau-Auen, das Gänsehäufel - mit einem amüsanten Einblick in die damalige Badekultur und das gar nicht so prüde Wien um 1909 - und die Wiener Innenstadt.
Das Buch ist eine sehr spannende Mischung aus fiktivem Krimi und historischem Hintergrund, gespickt mit vielen Wienerischen Ausdrücken und einer großen Portion Humor. Man riecht förmlich, wie im Prater wieder die Bäume blühen, während beginnende soziale Unruhen sich ausbreiten. Auch die persönlichen Geschichten rund um die Hauptdarsteller entwickeln sich weiter und machen Lust auf weitere Fälle.
Dolly Alderton: Gespenster
Nina George Dean ist Anfang Dreißig, hat sich den Traum einer eigenen, kleinen Wohnung in London erfüllt und kann von ihrer Arbeit als Kochbuchautorin und Food Bloggerin leben. Nach einer langjährigen Beziehung genießt sie das Alleinleben und sehnt sich nicht nach einem neuen Partner. Durch ihren Freundeskreis wird sie jedoch ständig mit den Themen und Problemen konfrontiert, die sich einem mit Anfang Dreißig stellen: der Druck ums Heiraten, sesshaft werden, Kinder kriegen, außerdem das Altern der eigenen Eltern. Angeregt durch ihre einzige Langzeit-Single-Freundin lädt sich Nina schließlich doch eine Dating-App herunter und erlebt die Hochs und Tiefs der Datingwelt und wie es ist, wenn ein Mann von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden zu sein scheint.
Gefühlvoll, witzig, und keineswegs oberflächlich beschreibt die Autorin das Gefühl einer Generation und trifft dabei genau ins Schwarze.
Empfehlungen für den Monat Dezember 2022
Alex Capus: Susanna
Susanna, eine Malerin aus Basel, wandert mit ihrer Mutter gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika aus, wo sie in New York ein neues Leben beginnen. Die Industrialisierung schreitet voran, und eine Wild West Show mit dem Indigenen Sitting Bull zieht durch Amerika. Susanna ist entsetzt von den Lebensbedingungen der Ureinwohner des Westens von Amerika und beschließt, gemeinsam mit ihrem Sohn den Häuptling Sitting Bull aufzusuchen. Eine abenteuerliche und nicht ungefährliche Reise beginnt.
Alex Capus erzählt diese Geschichte mit wahrem Hintergrund anhand von großen Weltereignissen und es gelingt ihm dabei, die Spannung stets aufrecht zu erhalten.
Clare Pooley: Das Wunder von Bahnsteig 5
Sechs Menschen, die sich täglich begegnen, weil sie denselben Zug nehmen, am selben Platz sitzen. Die einander nicht kennen, weil es sich nicht gehört, in einem Pendlerzug ein Gespräch zu beginnen. Und doch macht sich jeder ein Bild von den anderen, hat Vorurteile und auch einen Spitznamen für die Mitreisenden. Bis diese Anonymität eines Tages durch ein Ereignis durchbrochen wird. Nach und nach verknüpfen sich die Lebenswege der sechs Protagonisten zu einer Gemeinschaft, aus der tiefe Freundschaft wird.
Mehrere Themen werden im Buch aufgegriffen, u.a. Mobbing in Beruf und Schule, toxische Beziehungen, Burnout oder Demenz. Je tiefer man in die persönlichen Geschichten und Schicksale der sechs Protagonisten eintaucht, desto weniger will man das Buch aus der Hand geben. Eine schöne Geschichte über wahre Freundschaft - leicht erzählt, abwechslungsreich und unterhaltsam.
Empfehlungen für den Monat November 2022
Jana Revedin: Flucht nach Patagonien
Der Pariser Designer und Innenausstatter Jean-Michel Frank – Jude und homosexuell – ist auf der Reise nach Patagonien, um ein aufsehenerregendes Hotelprojekt auszustatten. Begleitet wird er von Eugenia, seiner mütterlichen Freundin und erfolgreichen Mäzenin, der er blind sein Leben anvertraut. Was nach einem neuen Auftrag jenseits des Ozeans aussieht, ist in Wahrheit eine von Eugenia geplante Flucht vor dem sich anbahnenden Zweiten Weltkrieg.
Eine Erzählung über eine persönliche Tragödie, über außergewöhnliche Liebe und Freundschaft in der Welt von Künstlern, Literaten und Modeschöpfern vor dem Hintergrund des sich entwickelnden Nationalsozialismus in Deutschland – ereignisreich und spannend erzählt.
Thommie Bayer: Sieben Tage Sommer
Der wohlhabende Max Torberg besitzt eine prachtvolle Villa in Südfrankreich, in die er fünf Bekannte im Sommer für eine Woche einlädt. Diese fünf Menschen haben ihm einmal auf einer Wanderung das Leben gerettet- seither haben sie sich nicht mehr gesehen. Max beauftragt eine Freundin, die Feriengesellschaft in der Villa zu betreuen und sie dabei auch ein wenig auszuforschen; den Grund dafür erfährt sie erst viel später. Max verspricht von Beginn an, nachzukommen, verschiebt seine Ankunft jedoch immer wieder, und während sie auf ihn warten, fragen sich seine Gäste zunehmen, was es mit der mysteriösen Einladung auf sich hat.
Der Roman ist in Form von E-Mails zwischen Max und seiner Freundin geschrieben, was der Geschichte eine eigene Perspektive verleiht. Spannend und zugleich warmherzig wird nach und nach das Geheimnis um die fünf Personen und ihren Gastgeber gelüftet.
Empfehlungen für den Monat Oktober 2022
Tess Gerritsen: Mutterherz
Der brutale Mord an einer Bostoner Krankenschwester hält Detective Jane Rizzoli und Gerichtsmedizinerin Maura Isles in Atem. Noch in ihrer Arbeitskleidung wurde der Frau bei der Heimkehr der Schädel eingeschlagen. Hat sie einen Dieb überrascht, oder hat jemand auf sie gewartet? Was Jane da gar nicht gebrauchen kann, ist eine Mutter, die sie permanent wegen einer vermeintlich entführten Nachbarstochter anruft – eine, die schon mehrmals weggelaufen ist. Zudem sind da noch diese unfreundlichen Neuen in der Straße, die kürzlich eingezogen sind. Mit denen ist etwas nicht koscher, glaubt Angela. Jane wischt die Warnungen ihrer Mutter beiseite. Doch Angelas Bauchgefühl trügt nicht und bringt sie in höchste Gefahr …
Ian Mortimer: Im Rausch des Vergnügens
Der Leser begibt sich Reisender in die Zeit des Regency von 1789 bis 1830. Man begegnet dabei Menschen aller Gesellschaftsschichten, vom Prinzregenten bis zum Landstreicher, wobei scheinbar kein Aspekt des Lebens ausgelassen wird. Wie wird die Steuer auf Haarpuder oder Tapeten berechnet? Warum duellieren sich Prinzen und Premiers in aller Öffentlichkeit? Wieso lassen sich Frauen freiwillig verkaufen? Weshalb wird ein Zimmer an mehrere Menschen gleichzeitig vermietet?
Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über eine Zeit, die stark von der französischen Revolution geprägt ist, in der Errungenschaften wie Eishäuser, Konservendosen und Dampflokomotive das Leben erleichtern und in der die ersten Vegetarier aktiv werden. Die Ära ist gezeichnet von großen Gegensätzen und relativ starren gesellschaftlichen Strukturen. Bemerkenswert ist, dass es kaum gesellschaftliche Anliegen gibt, die nicht auch heute aktuell wären.
Empfehlungen für den Monat September 2022
Sören Sieg: Oh, wie schön ist Afrika
Die beste Art, Land und Leute kennen zu lernen, ist das Couchsurfing. Man übernachtet kostenlos bei Einheimischen und hat so die Gelegenheit, am Alltag teilzunehmen. Sören Sieg besucht als „Muzungu“ (Weißer) sowohl Millionenstädte als auch entlegene Dörfer in sechs afrikanischen Ländern. Ungeschönt und lebendig berichtet er von seinen Erlebnissen: lange, halsbrecherische Fahrten in überfüllten Bussen und Motorradtaxis auf ungepflasterten Straßen, Müll, muffige, trostlose Wohnungen, von Kultureinrichtungen und Parallelwelten. Und immer wieder die Frage an seine Gastgeber: was ist deine Geschichte? Seine Hosts kommen aus allen Gesellschaftsschichten, haben verschiedene soziale Hintergründe – heraus kommen unglaubliche Geschichten und unvorstellbare Situationen.
Ein spannender, sehr persönlicher Reisebericht, in dem der Autor aber nicht wertet. Interessant sind vor allem die verschiedenen Blickwinkel, die eine Vorstellung vom Alltagsleben in Subsahara-Afrika geben. Das eigene Bild vom schwarzen Kontinent gerät ins Wanken, „Afrika ist arm“ kann man nach der Lektüre nicht einfach so stehen lassen.
Alexandra Potter: Lieber mit dem Kopf durch die Wand, als gar kein Durchblick
Nach ihrer Scheidung braucht Liv dringend einen Tapetenwechsel, zieht in ein verschlafenes Dorf in den Yorkshire Dales und kauft spontan ein komplett renovierungsbedürftiges Cottage.
Gegen die Einsamkeit will sie aus dem Tierheim einen Welpen adoptieren. Doch stattdessen fällt ihr Blick auf einen betagten Hund mit angegrauter Schnauze: er sieht so verlassen aus, wie sie sich fühlt – sie sind füreinander bestimmt. Adoptivhund Harry erkundet nun gemeinsam mit Liv die neue Nachbarschaft: Da ist Valentine, ein alter einsamer Mann, der stumm am Fenster sitzt, Stanley, der Autismus hat und sich hinter dem Gartentor versteckt, Teenagerin Maya, die auf alles und jeden wütend ist.
Doch mit Harrys Ankunft ändern sich die Dinge. Die Dorfgemeinschaft wächst zusammen. Selbst Liv traut sich, ihr Herz wieder zu öffnen…
Ein typischer Wohlfühlroman für den Strand. Leicht lesbar und trotz der thematisierten Probleme kein Schwergewicht. Genau richtig für heiße Sommerabende.
Empfehlungen für den Sommer 2022
Lina Jansen: Fräulein Stinnes und die Reise um die Welt
Als Claire Stinnes am 25. Mai 1927 in ihrem Auto von Frankfurt aus aufbricht, die Welt zu umrunden, ahnt sie nicht, was sie erwarten wird. Sie weiß nur, dass sie der Welt, und vor allem ihrer Familie zeigen will, dass auch eine Frau ein derart waghalsiges Abenteuer bestehen kann.
Zusammen mit ihrem Hund, 2 Technikern, einem Fotografen und etwas Proviant und Ersatzteilen macht sie sich auf entlang einer damals sehr gefährlichen Route durch Syrien, über den zugefrorenen Baikalsee, durch die Wüste Gobi und über die Anden, wo sie sich der größten Herausforderung ihres Lebens stellen muss…2 Jahre und 40 000 km dauert diese unglaubliche Reise.
Bei diesem Buch handelt es sich um eine Romanbiografie auf Grundlage der Reisetagebücher der echten Clärenore Stinnes, die diese Reise allen Widerständen zum Trotz und gegen den Willen ihrer Familie selbst geplant organisiert und letztlich erfolgreich durchgeführt hat. Man ist geneigt, der Autorin recht zu geben, wenn sie meint, wäre Clärenore Stinnes ein Mann gewesen, wäre ihr ein prominenterer Platz in den Geschichtsbüchern zugewiesen worden.
Mons Kallentoft: Blut soll euer Zeichen sein
Sie ist nackt und blutet aus unzähligen Schnittwunden. Doch die 15-Jährige kann sich an nichts erinnern. Da geht bei Malin Fors und ihren Kollegen von der Linköpinger Polizei eine Vermisstenanzeige ein: Die 14-jährige Therese ist verschwunden. Einige Tage später wird ihre Leiche gefunden – nackt und mit Schnittwunden übersät. Während Malin noch den Täter jagt, gerät ihre Tochter in tödliche Gefahr.
Detailreich und atmosphärisch dicht lässt einen der Autor Anteil haben am Geschehen, zieht einen von Anfang an in den Bann. Auch die tödliche Gefahr für Frau Fors eigene Tochter baut sich perfide über die Geschichte hinweg auf. Die Beschreibung und die Einblicke in die so ganz private, persönliche Situation der Kommissarin im Hinblick auf ihre Beziehung zu ihrem Ex-Ehemann und zur Tochter Tove machen die Figur emotional wahrnehmbar.
Empfehlungen für den Monat Juni 2022
Julia Mattera: Der Koch, der zu den Möhren und Sternen sprach
Der Gasthof der Geschwister Elsa und Robert Walch im Elsass ist eine Institution. Es ist Sommer und die Touristen kommen von überall her, um in friedvoller Natur Roberts köstliche Landküche zu genießen. Während sich Elsa um die Gäste kümmert, verbringt Robert seine Zeit am liebsten alleine am Herd oder in seinem prächtigen Gemüsegarten. Er erzählt den Karotten Geschichten, singt seinen Hühnern Schlaflieder und ersinnt unter dem Sternenhimmel Rezepte voller Nostalgie. Bis eines Tages die temperamentvolle Maggie aus England eintrifft und ihn zum Tanz auffordert.
Wieder einmal ein Buch über einen Außenseiter, der im Laufe der Erzählung lernt, sich seinen Mitmenschen zu öffnen und ein neues Leben zu beginnen. Der Zauber dieser Geschichte liegt in der Naivität des sympathischen Protagonisten, aber auch in der Naivität der Erzählung an sich. Eine Sommerlektüre für Genießer und Träumer, für die nicht immer alles so kompliziert und schwierig sein muss.
Anthony Doerr: Wolkenkuckucksland
Drei Personen – drei Orte – drei Zeitebenen. Seymour hat es nicht leicht aufgrund seines Autismus und seiner alleinerziehenden Mutter, die ständig von finanziellen Sorgen geplagt ist. Rückzug und Stille findet er in der Natur und in der städtischen Bibliothek. Zeno kehrt nach dem Koreakrieg in dieselbe Stadt zurück, lebt ein einsames Leben und widmet seine Pension der Übersetzung altgriechischer Papyrusschätze in der Bibliothek. Anna wächst als Waisenkind in Konstantinopel auf, lernt durch viel Glück lesen und schreiben träumt von Klosterschätzen auf Papyrus in Urbino, bis sie schließlich vor der Eroberung der Sarazenen fliehen muss.
Anthony Doerr verwebt die drei verschiedenen Erzählstränge kunstvoll immer mehr miteinander, bis sie schließlich zusammenführen. Sein Roman bleibt spannend bis zur letzten Seite und ist tatsächlich, wie es der Klappentext bereits ankündigt, eine Ode und ein Geschenk an alle BibliothekarInnen da draußen.
Empfehlungen für den Monat Mai 2022
Joachim B.Schmidt: Tell
Joachim B. Schmidt greift die Legende um den Schweizer Freiheitskämpfer und Nationalhelden aus dem 14. Jahrhundert neu auf und verfasst damit einen spannenden, historischen Abenteuerroman, der sprachlich wie inhaltlich überzeugt.
Der wortkarge und grobe Wilhelm Tell lebt mit seiner Familie völlig abgeschieden in den Bergen. Der Weg zu seinem Hof, auf dem die Tellen seit Generationen wirtschaften, ist versteckt und unwegsam, sodass kaum jemand die Reise auf sich nimmt. Über der Familie hängt der Tod von Wilhelms Bruder wie ein schwerer Schatten, genauso wie die Armut. Beim Wildern mit seinem Sohn trifft Tell auf den Landvogt und sein Gefolge, dem er fortan ein Dorn im Auge ist. Es kommt schließlich zur legendären Szene, in der Tell als Strafe einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen muss, und seinem anschließenden Rachefeldzug – Schmidts Roman bietet jedoch weit mehr als das. Absolut lesenswert!
Raynor Winn: Der Salzpfad
Nachdem die 50-jährige Raynor und ihr an einer fortschreitenden Nervenlähmung erkrankter Mann ihre Farm in Wales und alles, was sie sich in 32 Jahren gemeinsam aufgebaut haben, verlieren, machen sie sich nur mit dem Nötigsten ausgerüstet auf den Weg zu einer rund 1 000 km langen Wanderung auf dem längsten und wildesten Küstenpfad Englands, dem South West Coast Path. Sie fassen diesen Entschluss spontan und wandern völlig untrainiert los, mit einem kleinen Zweimannzelt und einem Budget von ca. € 50.- pro Woche von Somerset über Devon und Cornwall nach Dorset, ungewiss wie weit sie es schaffen würden, frei nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel.
Wer sich Schilderungen bekannter Touristenorte oder romantische Campingstimmung erwartet ist hier fehl am Platz. Im Vordergrund steht der Kampf gegen die Widrigkeiten des Weges und des Wetters, aber auch der innerliche Kampf um Seelenfrieden und eine neue Perspektive für die gemeinsame Zukunft trotz Armut und Krankheit.
Empfehlungen für den Monat April 2022
Herbert Dutzler: Die Welt war eine Murmel
Siegfried trägt eine dicke Brille, hat einen überaus gesunden Appetit und steckt seine Nase am allerliebsten in Karl-May Bücher. Er wächst in den 60er-Jahren auf, hat gerade die Volksschule beendet und freut sich aufs Gymnasium. Vorher geht es aber noch auf große Fahrt: mit dem Autobus nach Italien! Man schaut durch Siegfrieds wache Kinderaugen zurück in jenes Früher, in dem nicht wirklich alles besser war, aber an das wir uns doch so gerne erinnern.
Eine Reise in die eigenen Kindheitserinnerungen für die Älteren unter uns, die zum Beispiel noch wissen, was ein Vierteltelefon ist und wie exotisch ein Badeurlaub in Italien sein konnte. Herbert Dutzler beschreibt hier seine eigene Kindheit. Sehr persönlich und liebevoll, aber durchaus kritisch nimmt er das Weltbild und das Lebensgefühl dieser Jahre im Vergleich zu heute aufs Korn.
Monika Helfer: Löwenherz
Nach „Die Bagage“ und „Vati“ ist dies nun der dritte Teil der autobiografischen Romanreihe von Monika Helfer. „Löwenherz“ widmet sich der Geschichte ihres jüngeren Bruders Richard, der nach der liebevollen Obsorge seiner Schwestern im Kleinkindalter schließlich alleine bei einer Tante aufwuchs. Richard war ein Sonderling, den niemand recht verstand, und nur in seiner Fantasie und seinen Gemälden fühlte er sich wohl. Mit Anfang Zwanzig lernt er eine junge Frau kennen, die ihn nach kurzer Zeit mit ihrem Kind von einem anderen Mann allein lässt und verschwindet. Richard und sein Hund knüpfen von da an ein enges Familienband mit der kleinen „Putzi“, doch bereits von Beginn an ist klar, dass das Leben für Richard kein Glück vorgesehen hat…
Mit großem Gefühl und Feinsinn brachte Monika Helfer das schwierige Leben ihres Bruders zu Papier und gedenkt ihm gemeinsam mit ihrem Mann in liebevollen Erinnerungen.
Empfehlungen für den Monat März 2022
Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses
Genau wie sein erstes Buch liest sich Illies neues Sachbuch wie ein Roman. Wir begleiten Persönlichkeiten wie die Familie Mann, Marlene Dietrich, Henry Miller und Alma Mahler-Werfel durch die Jahre 1929 bis 1939 und teilen mit Ihnen ihre starken Gefühle, Freude und Leid.
Jeder kannte jeden in der Kulturszene, und man spürt die starke Verbindungskraft, die Kunst und Literatur zwischen den Menschen herstellten. Wir erleben freie Liebe und große Reisen gemischt mit Ängsten und Vorahnungen am Vorabend des zweiten Weltkriegs. Flüssig und virtuos zeichnet der Autor Portraits aus dieser schönen wie schrecklichen Ära, aus der man nach wie vor Neues dazulernen kann.
J.M.Peace: Die Hatz
Nach einem Streit mit ihrem Lebenspartner verbringt die sechsundzwanzigjährige Samantha Willis den Abend mit einer Freundin. Doch nach dem Besuch in einer Bar wird sie von einem Unbekannten überwältigt, in ein Auto gezerrt und unter Drogen gesetzt. Als sie die Augen aufschlägt, findet sie sich mitten im australischen Busch wieder. Ihr Entführer bietet ihr noch einen Schluck Wasser an, dann macht er Jagd auf sie – wie auch auf andere Frauen zuvor. Eine Jagd auf Leben und Tod! Aber dieses Mal hat sich der Unbekannte das falsche Opfer ausgesucht, denn Sammi ist Polizistin und dreht den Spieß um ...
Dieser Thriller ist das Erstlingswerk der Autorin, die selbst Polizistin ist. Somit ist es eigentlich kein Wunder, dass wir in diesem Thriller viel von der Polizeiarbeit erfahren. Mir hat es sehr gut gefallen, dass wir verschiedene Blickwinkel kennenlernen. So bleibt die Geschichte auch immer spannend, denn sowohl Samanthas Überlebenskampf im Busch als auch die fieberhafte Suche nach ihr sind sehr fesselnd erzählt.